WoodandSteelcoverfront

Zwischen Baum und Borke

Das Hollywood Songbook in der Version von Michael Schiefel und dem Wood & Steel Trio klingt manchmal altmodisch, doch nie museal, und wenn, dann im besten Sinne: da ist diese eigentümliche Stimmung, die einen beim stillen Betrachten von Gegenständen aus vergangenen Zeiten anfliegt. Sie beginnen in ihren Vitrinen gleichsam zu sprechen und verbreiten stumm eine betörende Wirkung. Es erklingt, bestückt mit knapper Prosa und perfekt instrumentiert, aus versteckten Lautsprechern eine hochgradig eigenartige Botschaft.

Das Hollywood Songbook von Hanns Eisler ist ein Liederzyklus aus vertonten Texten von Bertolt Brecht und anderen Dichtern. In die Originalfassung eingearbeitet sind Minizyklen von Eduard Mörike, Joseph von Eichendorff, Friedrich Hölderlin und je eines von Blaise Pascal und Goethe, sowie ein von Eisler selbst geschriebenes Gedicht: „Nightmare“. Der Zyklus ist Eislers erste Beschäftigung mit dem Thema Lied im Exil, in der er dem Schrecken über das Ausdruck verschafft, was im damaligen Deutschland passierte. Und es ist eine Reaktion auf die fremde Welt Hollywoods samt einer Meditation über Deutschlands verschwundene Vergangenheit, unerträgliche Gegenwart und unsichere Zukunft. Musik und Text sind geprägt von einer nostalgisch-melancholischen Haltung, immer am Rande von Trauer und Schmerz über den Verlust einer untergehenden Heimat. Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio haben sich auf ihre Auswahl beschränkt und so blieben die Brecht-Texte als Schwerpunkt übrig. „Die Auswahl entspricht unserer Perspektive. Man muss diesen Stoff für heutige Zwecke einfach verdichten. Und wir wollten die relativ kurzen Stücke mit Improvisationen versehen und haben daher weniger Material verwendet. Es wäre sonst zuviel geworden“, sagt Schiefel, „man kommt schon mit dem Singen der Brecht-Texte irgendwann an einen Punkt, an dem es beklemmend wird.“ Sowohl für ihn als Sänger als auch für das Publikum wird es wichtig, zwischendurch Abstand zu nehmen und bei Goethes „Schatzgräber“ sowie Intros, Zwischenspielen und „Tableau I-III“ genannten kleinen Intermezzi etwas zu entspannen. Michael Schiefels versatile Stimme meistert diesen Stoff, der in allen Belangen Äußerstes von einem Sänger fordert. Und das Wood & Steel Trio mit seinem ganz eigenen Sound aus dem leicht blechernen Klang von Dobro Steel Guitar (meisterhaft fühlt sich Christian Kögel in die Klangwelt der damaligen Zeit ein), dem virtuosen Vibrafon von Roland Neffe und Marc Muellbauers erdigem Kontrabass scheint wie geschaffen für das Projekt.

Auf seiner Spurensuche stieß Michael Schiefel zunächst auf eine Decca-Produktion von 1998 aus der Reihe „Entartete Musik“ mit dem klassischen Bariton Matthias Goerne und dem Pianisten Eric Schneider. Mit letzterem kam Schiefel ins Gespräch. Ihn faszinierte, wie diese Musik zwischen Kunstlied und Kabarett changieren konnte. Wie nun eine eigene Version, außerhalb des klassischen Liedes umsetzen? Seine Idee war das Wood & Steel Trio, und so fragte er dessen Bassisten Marc Muellbauer. Der und seine Kollegen sagten sofort zu und stürzten sich an die Arbeit. Reiz und Herausforderung bestanden darin, Eislers teilweise sperrige Klaviervorlagen auf drei Instrumente zu übertragen. „Das Material ist von Eisler sehr sorgfältig gestaltet und auf den Text abgestimmt. Es erfordert sehr viel Präzision beim Proben, war doch ursprünglich daran gedacht, dass Klavier und Stimme agogisch miteinander ‚atmen’. Wir mussten sehr lange arbeiten, bis alles begann, zu wirken.“ Muellbauer ergänzt: „Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder. Das Material selber ist einfach unglaublich gut. Es kristallisierte sich ein Weg heraus, der uns der Musik gerecht schien, und uns die Möglichkeit gab, die Lieder aus ihrer Verortung als Kunstlieder der 1940er Jahre herüberzuholen ins Jetzt: Wir nahmen zum Teil nur wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten mit dem Material Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzten. Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet.“

Michael Schiefel und Wood & Steel klingen so „altmodisch“, wie es eben nötig ist, die eigentümlich hölzern klingende „lyrische Prosa“, heutzutage vielleicht nur noch Altlinken, Lied-Kennern und Theaterleuten ein Begriff, auf einen aktuellen Stand zu bringen. Bei näherem Hinhören jedoch ist dieser Stoff aktueller als erwartet. Man kann an ihm Befindlichkeiten ablesen, mitfühlen, wie es Menschen zwischen Baum und Borke gehen muss, die auf Anerkennung als Flüchtlinge warten, die sich fern der Heimat fremd fühlen, während dort Kriege toben, ihr Land platt gemacht wird. Wood & Steel mit Schiefel haben nicht nur ein seltsames, vom Aussterben bedrohtes, kritisches Genre wiederbelebt, sondern richten unsere Ohren auf Themen, „die aktuell sind und in denen einiges drinsteckt, was wir uns gerade heute anhören sollten“. Erst nach mehrmaligem Hören belohnt uns das Hollywood Songbook wirklich. Und für diejenigen, die weiter in die Tiefe gehen wollen: Matthias Goerne/Eric Schneider: The Hollywood Songbook (Decca). Werk- und Genre-Vergleich lohnen sich.

 

CD: Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel: Brecht/Eisler – Hollywood Songbook

(Traumton/Indigo)

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Erschienen in JAZZTHETIK 09/10-2018
Michael Schiefel und Wood & Steel Trio - The Hollywood Songbook
Von Jan Kobrzinowski