Youn Sun Nah - Weiter geht's

Auf ihrem aktuellen Album She Moves On schlägt Youn Sun Nah einen neuen Weg ein und singt Pop, Soul und Folk - mit tatkräftiger Untzerstützung New Yorker Jazzer und Avantgardisten.

Von Jan Kobrzinowski

 

„Kennst Du den Film „Chocolate“? - Was ich daran so liebe, ist, dass sich Juliette Binoche immer irgendwie von hier nach dort bewegt. Und wenn der Wind dreht, weiß sie genau: jetzt ist es Zeit ist, zu gehen. Ich bin Asiatin, ich bin nie gereist, bevor ich mit 25 nach Frankreich gezogen bin. Eigentlich für geplante 3 Jahre, aber dann blieb ich viel länger. Ich hatte das nie vor. Und dann fühlte ich wieder den Wind. Ich bin wohl eine Reisende, aber ich plane eigentlich nichts wirklich. Ich probiere Dinge aus.“

Nach drei Alben für ACT, auf denen sie mit europäischen Jazzern zusammenarbeitete, bekennt sie nun ihre Liebe zur Popmusik, zu Soul und Gospel, zur amerikanischen und auch zur europäischen Folktradition. Autoren wie Lou Reed, Paul Simon, Jimi Hendrix, Noel Paul Stookey (der Paul von Peter, Paul & Mary) und Joni Mitchell finden sich auf She Moves On, wenn auch vertreten mit eher unbekannteren Stücken. Was bringt nun Youn Sun Nah dazu, sich ausgerechnet solchen Genres zuzuwenden, in denen sich schon so viele tummeln? - „Ich wollte Stücke ausprobieren mit mehr Text,“ sagt sie. „Ich hatte den Keyboard-Spieler und Produzenten Jamie Saft in New York getroffen. Er sagte mir, dass er alles liebt, was mit Gesang zu tun hat. Er besitzt alle Alben von Joni Mitchell und Bob Dylan. Und ich fragte ihn, wie das zusammen gehen kann: er spiele doch eigentlich Avantgarde und Free Music und arbeitete zum Beispiel mit John Zorn. Er sagte: ‚Weißt du, das ist einfach unsere Kultur, unser Erbe.’ Wir probierten es, und es wurde mein neues Abenteuer. Ich wusste nicht, wohin das führt und war einfach neugierig. Ich zweifelte etwas, ob ich mich daran wagen sollte, etwas von Joni Mitchell zu singen. Du kannst vielleicht etwas zerstören.“ Dass so etwas meist gut geht, kennt man von Youn Sun Nah. Und sie hatte tatkräftige Unterstützung. Das Album trägt die Handschrift von gleich zwei amerikanischen Haudegen. Dabei ist es vielleicht gerade bezeichnend, dass sowohl Jamie Saft als auch Marc Ribot aus der Avantgarde- und Free Music-Szene kommen. In den USA gehen Tradition und Experiment nicht nur problemlos Hand in Hand, vielmehr ist man kurioser Weise der ständigen Anwesenheit beider Welten gewahr. Marc Ribots geniale Gitarrenarbeit haucht nur fünf Stücken auf She Moves On einen gehörigen Touch Americana ein und prägt damit das gesamte Album. Jamie Safts geschmackvoll zurückhaltende Tastensounds belegen einerseits seinen großen Respekt vor der amerikanischen Tradition und schaffen auf der anderen Seite so viel Raum für die Strahlkraft der Sängerin. Gerade sind die Salven aus Marc Ribots Hendrix-befeuerter Gitarre auf „Drifting“ verklungen, greift die Sängerin zur sanften Sansula, dem Daumenklavier mit europäischer Feinabstimmung, um sich, sparsam untermalt von Brad Jones’ Kontrabass, für ein altes Folkstück, „Black Is The Colour Of My True Love’s Hair“, selbst zu begleiten. Eine von Youn Sun Nahs hervorstechenden Eigenschaften ist, dass sie sich und die Zuhörerschaft augenblicklich in eine andere Welt versetzen kann, vor allem auf der Bühne.

Für die Hinwendung zum Folk bedurfte es seinerzeit der Neugier und Beharrlichkeit des Gitarristen Ulf Wakenius, um die Sängerin dazu zu bringen, sich (auch koreanischer) Folklore zuzuwenden. „Ich fragte Ulf damals, wie er darauf komme und er sagte: ‚Ich bin Schwede und fühle mich einfach sehr verbunden mit traditioneller Musik.’ Unter anderem durch ihn fand ich heraus, dass alle traditionellen Lieder der Welt möglicherweise irgendetwas gemeinsam haben könnten. Sie sind kurz, einfach, sie sind repetitiv, und viele haben diese eigentümliche Moll-Dur-Mischung. Ich bin sicher, dass ich auch koreanische Roots in mir habe. Meine Eltern sind klassische Musiker. Ich habe viel Pop (auch koreanischen) und Rock gehört, und ich habe zwar keine traditionelle, aber westliche Musik studiert, ich glaube aber, mit all diesen Einflüssen wirst du geboren.“

Youn Sun Nah gibt stets alles, was und durch wen sie auch immer gerade singt. „Wenn ich, egal in welcher Sprache, ein Lied singe, werde ich auf der Bühne regelrecht zu dieser Person, die durch diese Worte spricht. Es gibt dann gar nichts anderes mehr. Es gibt nur noch das Publikum und mich. Ich vergesse mich selbst total. Weißt du, ich liebe das Publikum, es ist wirklich Liebe, wie die zwischen Mann und Frau.“ - Große Worte, aber dass das stimmt, kann jeder nachvollziehen, der sie einmal live erlebt hat. Nie spielt sie nur eine Rolle. Für ihre Version von Joni Mitchells „The Dawntreader“ schlüpft sie gleichsam in die Haut der großen Singer-Songwriterin, und dennoch bleibt sie, wie durch Zauberhand, immer sie selbst: Youn Sun Nah.

CD: Youn Sun Nah – She Moves On (ACT)

 

Tourdaten:

25.5. Coutances/F - Jazz Sous Les Pommiers; 29.5. Basel/CH - Musicaltheater; 31.5. London/GB - Ronnie Scott’s; 2.6. Elbjazz Hamburg - Elbphilharmonie

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YounSunNah
Erschienen in JAZZTHETIK 05/06-2017
YOUN SUN NAH - Weiter geht's
 
von Jan Kobrzinowski