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Fred Hersch - Innere Einkehr

Er ist mit 61 ganz bei sich angekommen und muss niemandem mehr etwas beweisen. Pianist Fred Hersch hat seine eigene Handschrift perfektioniert.

von Jan Kobrzinowski

 

Von der Terrasse des Musik- und Filmproduzenten Ralf Kemper in Neuss blickt man auf den träge dahinfließenden Rhein, draußen über dem Fluss prangt der Vollmond. Die Gäste des kleinen Privatkonzerts erwarten eine Sternstunde der Jazz-Pianistik. Ein kleiner, bescheiden und fast zerbrechlich wirkender Mann setzt sich an den großen Steinway-Flügel und spielt Blue Monk, Eigenes, Ellingtons Caravan, Both Sides Now. Er behandelt Joni Mitchells Song in seiner ganzen Schlichtheit fast zärtlich, als wäre es ein Schumannsches Nachtstück. Nie würde er sich zu allzu abstrakten Höhenflügen erheben, sein Spiel wirkt wie innere Einkehr, fast demütig. Und selbst einem Stück von Thelonious Monk wohnt unter den Händen von Fred Hersch eine seltsame Ruhe inne.

„Ein Piano-Rezital ist ein klassisches Format, natürlich treten im Solospiel mehr klassische Einflüsse zutage. Ich bin Jazzmusiker, aber mit vielen Einflüssen. Es geht mir um gutes Klavierspiel, und da gibt es immer Elemente von beidem, Jazz, Klassik, dazu kommt zeitgenössische, aber auch brasilianische und Popmusik. Ich habe meinen eigenen Weg. Ich bin kein Fan von diesem ‚Jazz versus Klassik’-Thema. Wir haben alle unsere Einflüsse. Jeder stiehlt von jedem, dadurch entwickelt Musik sich weiter.“

An Herschs Version von The Song is You auf seinem letzten Solo-Album ist der klassische Einfluss deutlich zu hören. So balladesk und ruhig hat selten jemand diesen Evergreen der Jazzgeschichte interpretiert. „Jerome Kern wie auch andere der großen amerikanischen Songwriter waren stark beeinflusst durch die klassische Musik,“ sagt Hersch, „dieser Song wird normalerweise schnell gespielt, aber wenn du den Text anschaust..., für mich sind die Worte immer der Schlüssel dazu, wie ein Standard interpretiert werden sollte. Es ist ein Liebeslied, und man geht normalerweise nicht los und hört so was im Supermarkt. Es ist schwierig für mich, einen Song zu spielen, von dem ich den Text nicht kenne.“ Herschs Trio-Album „Sunday Night at the Vanguard“ mit John Hébert (b) und Eric McPherson (dr) beginnt mit Rodgers’ und Hammersteins A Cockeyed Optimist. Auch hier „singt“ Hersch das Thema nach der perlenden Intro mit unvergleichlichem Respekt für das Original. Die Platte erhielt eine Grammy-Nominierung für das „Best Jazz Instrumental Album 2017“. Die zweite kam hinzu in der Kategorie „Best Improvised Jazz Solo“ für sein komplexes Solo über das Monk-Thema „We see“.

„Der Ansatz vieler anderer Trios ist es: ‚Komm, lass uns diesen oder jenen Tune einfach mal spielen.’ Ich gehe da gerne mit einer Idee oder einem Arrangement heran. Ich liebe es, ob Solo oder im Trio, mich aus einem großen Pool von Stücken zu bedienen.“ Seien es Standards, Songs, Originals oder völlig freie Improvisationen. Was immer Fred Hersch spielt, trägt seine spezielle Handschrift. Wie ein amerikanischer Kritiker bereits bemerkte: niemals haben Eigenkompositionen mehr nach Standards geklungen oder umgekehrt, als bei ihm.

Der Pianist ist inzwischen 61 Jahre alt und hat mehr als 30 Alben veröffentlicht, als Sideman für Stan Getz, Joe Henderson, Gary Burton, Jean „Toots“ Thielemans, Norma Winstone, und unzählige Einspielungen unter eigenem Namen. Heute geht es ihm besser als seit langem. Er reist wieder mindestens einmal im Jahr durch Europa. Früher fühlte er sich getrieben, heute muss er nach eigener Aussage niemandem mehr etwas beweisen. „Nach meiner gesundheitlichen Krise bin ich mehr ich selbst. Wenn du jung bist, willst du die Leute beeindrucken, zeigen was du kannst, das brauche ich nicht mehr. Viele Jazzmusiker spielen heutzutage nur für andere Jazzmusiker. Das tangiert das wirkliche Publikum nicht, und mich interessiert so etwas auch nicht. Es ist nicht mein Ding, möglichst viele Licks und Patterns zu lernen und sie dann im Konzert zum Besten zu geben.“

Fred Hersch ist durch große Krisen gegangen, dem Tod mehrfach von der Schippe gesprungen. Seine lange Leidensgeschichte war für ihn Therapie und Politikum. Als einer der ersten Jazzmusiker bekannte er sich in den 90er Jahren offen zu seiner Homosexualität, er referiert und spielt auf AIDS-Kongressen, setzt sich ein für die Interessen der Schwulen und gab inzwischen hunderte von Interviews. Nach seinem zweimonatigen Koma im Jahre 2008 musste er nicht nur das Klavierspielen wieder völlig neu erlernen. Danach transformierte er seine Erfahrungen in „My Coma Dreams“ in eine abendfüllende Performance für elf Instrumente, Schauspieler, Sänger und Multimedia-Animation, basierend auf Träumen, die er während des Erwachens aus dem Koma hatte. Obwohl sein Leben inzwischen hinreichend dokumentiert ist, kommen im September seine Memoiren heraus, bei einem großen Verlag. Und auch ein neuer Film ist fertig: Charlotte Lagarde und Carrie Lozano drehten „The Ballad of Fred Hersch“ als intimes Portrait, dass sich weniger dem Kranken, dem Aktivisten, als vielmehr dem Künstler Fred Hersch widmet. Damit ist er glücklicher als mit dem, was bisher über ihn berichtet, gedreht oder geschrieben worden ist. Fred Hersch wird auch 2017 wieder in Deutschland auf Tour sein.

CD: Fred Hersch Trio: "Sunday Night at the Vanguard" (Palmetto Records)

Erschienen in JAZZTHETIK 03/04-2017
Fred Hersch - Innere Einkehr
 
Von Jan Kobrzinowski
 
 
 

Foto: Vincent Soyez