Auf seinem neuen Trio-Album stellt Sebastian Sternal einen Aspekt in den Vordergrund, der in seiner Musik noch nie so deutlich wurde: Sie swingt.
Von Jan Kobrzinowski
Ein transatlantisches Treffen von zwei deutschen Musikern, die sich blind verstehen, mit einem amerikanischen Klaviertrio-Experten am Bass, das ist auch ein Beispiel für gute deutsch-amerikanische Beziehungen. Dass dabei eine der besten Jazz-Studioproduktionen der vergangenen Monate herausgekommen ist, verwundert nicht, gerade wenn man sich das Line-up anschaut: Der junge, aber inzwischen etablierte Pianist Sebastian Sternal hat einfach seinen amerikanischen Kollegen, den Bassisten Larry Grenadier, angeschrieben und ihm seine Ideen zugeschickt. Dieser hat sich alles angehört und ziemlich schnell Ja gesagt.
Sebastian Sternal wollte nicht einfach einen x-beliebigen „Ami-Star“ für sein Album buchen. Nachdem die künstlerische Idee sich abgezeichnet hatte, kam ihm der Bassist von Brad sternal trio 2Sebastian Sternal - Larry Grenadier - Jonas BurgwinkelMehldau, Pat Metheny und anderen als idealer Partner in den Sinn, ja, er hat sogar gewissermaßen schon mit ihm kalkuliert. Das merkt man einigen Kompositionen auf seinem neuen Album Home an, außer denen vielleicht, die eher europäische Charakterzüge tragen. Sternal geht es nicht um die Gesamtschau seines kompositorischen und pianistischen Könnens. „Vielmehr ergaben sich die verschiedenen Strömungen aus meiner musikalischen Biografie“, so sagt er, „und so überlegte ich mir genau, was mit diesem Trio richtig gut klingen könnte.“
Alles beginnt mit „I Am the Ocean“; es fließt ruhig dahin und täuscht zunächst darüber hinweg, dass es kurz darauf richtig zur Sache gehen wird. Mit dieser Introduktion führt uns jemand in seine Musik ein, der wirklich etwas vorhat mit dem Zuhörer. Sternal nennt einen der besten deutschen Schlagzeuger seinen Freund, mit dem er durch dick und dünn geht: Jonas Burgwinkel. In fast allen Besetzungen, ob als Leader oder Sideman, schwört Sebastian auf ihn. Völlig zu Recht: Eine derart musikalische rhythmische Variabilität bietet kaum ein anderer, ob als kongenialer Begleiter bei Balladen, als treibende Kraft beim Groove, als alles verstehender Rhythmiker im Umkreis Neuer Musik oder als durchtrieben swingender Partner im Pianotrio-Kontext. „Es gibt Stücke wie z. B. ‚Go’, auf dessen polyphones Thema ein komplett freier Teil folgt, in dem lediglich mit der Idee des Themas im Hintergrund improvisiert wird“, konstatiert Sternal. „Später gibt es dann aber auch Stücke, die eine Form haben, die richtig ausgespielt wird.“ „Go“ lässt der harmonischen Entwicklung freien Lauf, und das darauf folgende „Sand“ löst das Metrum auf und folgt einer ganz eigenen freien Rhythmik.
Erst mit dem Titelstück „Home“ kommt Sternal dem Schwerpunkt des Albums näher und lässt zum ersten Mal seinem kongenialen Mitspieler Larry Grenadier Raum, seinen fulminanten Bass sprechen zu lassen, bevor er auf „Gravity“ so richtig derbe losswingen darf. Nach den eher an Klangfarben orientierten Arbeiten mit seiner Sternal Symphonic Society und dem Duo mit dem Trompeter Frederik Köster ist Home nun genau „das körperliche Album, wo alles so richtig groovt; eben das, was ich gerade in diesem Moment, fast schon aus einem körperlichen Bedürfnis heraus, machen wollte.“ Sebastian Sternal hat neben Neuer Musik, Pop und Filmmusik nämlich ein großes Faible für die amerikanische Tradition. Sein Anliegen mit diesem Album ist es, ihre Lebensfreude und rhythmische Energie ins Moderne zu übersetzen. „Eigentlich stehe ich total auf ‚geschwungene‘ Jazzmusik“, sagt Sternal augenzwinkernd lautmalerisch. „Ich bin zum Beispiel ein großer Fan von Oscar Peterson. Das habe ich bisher nie so deutlich zeigen können wie mit diesem Album. Und das klappt natürlich mit Larry am Bass besonders gut.“
Und so beginnt, ganz ohne Retro-Allüren, ein regelrechter Flirt mit der Tradition. „Wir haben zwölf neue Stücke aufgenommen, und dann war noch Zeit für drei Standards“, von denen dann Cole Porters „All of You“ ins Album hineingerutscht ist. Und, nicht ganz nebenbei, trägt alles, was auf Home so richtig swingt, natürlich den Sternal-typischen leichten Anflug von Abstraktion und Neuer Musik. Die Ballade „Winter“ kommt wunderbar lyrisch daher, rezitativ mit fast nordischer Epik, Grenadiers Bass-Solo mündet in Charlie Hadenscher Ruhe, Jonas Burgwinkels Besen und Becken rauschen dazu und schäumen wie der Bach unter dem Eis. Dazu gibt es zarte Klavierlyrik, die an Art Lande, Bobo Stenson oder Bill Evans erinnert.
Sebastian Sternal ist indes auch gerne Sideman. „Von hinten mitmischen und selbst gestaltend zu bestimmen – beides ist schön“, so bekennt er. Konkrete neue Pläne hat er erst einmal nicht, eher lehnt er sich zurück und genießt seine Erfolge, und gleichzeitig geht es weiter mit der Society und vielen anderen Musikern, im Duo mit Frederik Köster, dem Trio Sternal-Burgwinkel-Airelle Besson sowie im Quartett mit Klaus Heidenreich. Home wird er im April 2017 mit Grenadier und Burgwinkel in Deutschland auf Trio-Tour präsentieren. Die Konzerte sollte man auf keinen Fall verpassen.
Aktuelle CD: Sebastian Sternal: Home (Traumton / Indigo)